Wir über uns

Alles glänzt so schön neu:

Das Still Ill in der Turmstraße ist renoviert worden – zum ersten Mal nach 21 Jahren. Der Streetwear- und Art-Supply-Laden eröffnet mit frischem Look – und bleibt doch, was er immer war: eine Institution.

Im STILL ILL Streetwear & Art Supply (sprich Klamotten und Graffiti)steht man auf Handwriting. Im wahrsten Sinne des Wortes: Hundertfach haben sich hier Writer auf dem Boden verewigt und ihre Spuren hinterlassen. Klar, dass dieses fast schon historische Gesamtkunstwerk bleiben durfte. Sonst hat sich einiges verändert in dem Laden hinterm Rathaus, der wahrscheinlich wie kein anderer seit mehr als 20 Jahren für authentische Streetwear und die Writerszene Freiburgs steht.

Jeder, der sich in Freiburg für Streetart- und -wear interessiert, hat wahrscheinlich eine eigene Erinnerung an den kleinen Shop und ist nun vielleicht überrascht von dem neuen Erscheinungsbild. Ein heller White Cube strahlt auf die Turmstraße hinaus, wo sich früher sympathisches Chaos hinter vollgestickerten Türen versteckt hat. Der neue Style: Schwarz-weiß, viel Holz und eine Spraydosen-Wall of Colour in allen Regenbogenfarben. Pures Instagold. Man spürt ihn immer noch, diesen Charme des Persönlichen, der schon seit Jahrzehnten laut Künstler Tom Brane "den Zauber am Still Ill ausmacht. Ein Ort, wo man sich trifft: coole Leute, coole Gespräch!" Keine Kette, kein Franchise, sondern einfach Menschen, die Lust haben, ihr Ding durchzuziehen. In Zeiten, in denen sich in deutschen Innenstädten gefühlt nur H&M, Pimkie und Zara aneinanderreihen, keine Selbstverständlichkeit mehr.

Es gibt auch Kleider von Freiburger Künstlern

An den Kleiderstangen hängen ausgewählte Teile von großen und kleinen Labels. Aber auch eigens fürs Still Ill entworfene Shirts von Freiburger Künstlern - den Start machen Youth Life und Kid Pone. "Unser persönlicher Geschmack kommt den Kunden zu Gute, weil wir nur Sachen auswählen, die wir selber gut finden" so André Krämer und Hermann Engelke, die neuen Besitzer. Früher waren sie hier angestellt, jetzt haben die zwei Mittdreißiger als Geschäftsführer ihre individuelle Vision eines modernen Streetwear und Künstlerbedarfs zum Leben erweckt. Sinnbildlich für ihr Konzept steht die große Fensterfront, die im Vergleich zu früher einen weiten Blick in den Laden erlaubt: Offen für alle. Nicht nur Graffitiaffine, sondern auch Bastelmamis, Studenten und DIY-Künstler sollen sich jetzt hier wohlfühlen. "Oder der Opi, der seinen Gartenzwerg bemalen will."

Back to the roots

Angefangen hat alles 1999. Im Radio läuft Mambo No. Five, Britney Spears erobert mit "Baby one more time" die Charts, aber mit den Fantastischen Vier tauchen auch schon Vorboten des bevorstehenden Hip-Hop-Booms auf, der langsam aus den Staaten ins beschauliche Ländle rollt. Karen Ralls, ursprünglich aus New York und Matze Oberle, groß geworden im Raum Freiburg, beschließen mit Mitte Zwanzig, die Räume des alternativen Szeneladens Chameleon zu übernehmen. Wieso? Um Hip-Hop in Freiburg an den Start zu bringen. Wo die Angebote fehlen, schafft man sie eben selbst, so ihre Devise.

Aufgewachsen mit Pionieren und Wegbereitern wie Run DMC, Beastie Boys und Dr. Dre eröffnen der Learning-by-Doing-Einzelhändler und die diplomierte Betriebswirtin nach zwei Monaten Planungsphase ihren Streetwearshop. Der kommt an, denn bis jetzt mussten lokale Hip-Hop-Heads, damals noch lange nicht im Mainstream zu Hause, ins benachbarte Basel oder nach Karlsruhe fahren, um sich entsprechend einzudecken. Step up!

Beyoncé was here

Der damalige Fokus: Mucke, Mode und more. Im Laden probieren sich junge DJ’s an den eigens dafür aufgestellten Turntables aus, Mixtapes der Underground Labels Rayalbunker und Eimsbush wechseln für 15 bis 20 der guten alten D-Mark den Besitzer. "Durch unseren Freund und Mitarbeiter Oliver Rath aka DJ Al Capone (Produzent und DJ der La Cosa Nostra, später auch bekannt als Berliner Fotograf) wurde uns auch die Heidelberg-Connection rund um Torch, Toni L, Boulevard Bou und den Stieber Twins bekannt gemacht. Mit ihm zusammen organisierten wir regelmäßig Still-Ill-HipHop-Partys im Crash, beispielsweise mit Live-Auftritten der damals noch wenig bekannten deutschen Künstler Kool Savas oder Curse" so Karen.

Nicht die einzigen prominenten Connections, 2001 erhält man sogar royalen Besuch: Queen B, the one and only Beyoncé – zu der Zeit unterwegs mit ihrer R’n’B-Formation Destiny’s Child und gerade auf Europatour - schlendert in den Laden und kauft sich ganz legér ein paar Adidas Sneaker. Klar, dass genau in dem Moment der Kartenleser ausfällt und der Backgroundsänger finanziell einspringen muss. Fazit: Peinlich, aber legendär.

The times, they are changing

Sprung ins Jahr 2019: Alle sind irgendwie ein bisschen erwachsener geworden, bei Matze und Karen haben sich die Interessen verschoben: Hip-Hop ist nicht mehr Prio 1, auch wenn der mittlerweile die deutschen Charts dominiert, Skrrt, skrrt. Seit einiger Zeit hat das Paar mit seinem Laden-Projekt YumYum alle Hände voll zu tun, das Still Ill wird eher nur "stiefmütterlich" behandelt.

Auftritt Hermann und André. Als "einer der langjährigsten und treusten Mitarbeiter" und "super Azubi" führen sie den Laden schon einige Zeit fast in Eigenregie, legen den Fokus immer mehr weg von reinem Hip-Hop Store hin zu Streetwear und Art Supply. Das Duo – laut eigener Aussage Liebe auf den ersten Blick – findet im Still Ill sei eine perfekte Nische: Während Hermann eher für das Technische zuständig ist, kümmert sich André ums Soziale: "Wir ergänzen uns gut." Als es um die Zukunft des Ladens geht, ist für Matze und Karen klar: "Wenn nicht in die Hände der beiden, dann in keine." Sie haben die Erfahrung, die Kontakte, die Zukunftsvision. Also wird "das Baby" von einer Generation zur nächsten gereicht.

Fresh and clean as daisy

Mit Hilfe der Youth Life Crew, die auch als DJ Kollektiv und Partyveranstalter in Freiburg unterwegs ist, ziehen die neuen Besitzer die geplante Verjüngungskur in straffen knappen drei Wochen Umbau durch. Viele helfende Hände machen es möglich, dass sich die dunklen engen Räumlichkeiten bis zum 7. März in eine lichtdurchflutete Bühne für Farben und Fashion verwandeln. Fresh and clean as daisy! Der Name wird beibehalten, "in hundert Kilometern Umkreis gibt es nichts Vergleichbares!"

Diese Einzigartigkeit lockt alle möglichen Altersgruppen an: "Vor allem mit den Kids zu arbeiten hält jung, wir sind auch nicht so die typischen Anzugträger". Glaubt man sofort. Trotzdem sind sich André und Hermann ihrer Verantwortung bewusst und weisen Szeneneulinge explizit auf die legalen Spraywände hin. Zu oft stand schon die Polizei vor der Tür, um sie für vermeintliche Schmierereien haftbar zu machen. Die Vollzugsbeamten werden dann freundlich zu den Baumärkten geschickt, da kann man schließlich auch Dosen kaufen, allerdings zum fast dreifachen Preis. "Die Leute sind oft überrascht, wie günstig die Farben bei uns sind. Deswegen kommen die wieder." Die entspannte Atmosphäre und die gute Beratung schadet da bestimmt nicht. Denn auch, wenn sich optisch vieles geändert hat, das Still Ill 2.0 bleibt im Kern, was es schon immer war: Echt authentisch und einfach eine Freiburger Institution.

Also: Support your local dealer.

André und Hermann freuen sich über euren Besuch :)

Artikel erschienen auf Fudder.de by Martha Martin-Humpert